Lieber Mathias Pfeiffer, verehrte Exzellenzen und Mandatsträger, meine sehr geehrten Damen und Herren

 

Es ist mir ein außerordentliches Vergnügen, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen, denn die „Bürger für Frankfurt“ sind tatsächlich eines der gelungensten Beispiele, für den Erfolg einer Wählervereinigung, die in unserem zerfallenden Land retten will, was noch zu retten ist.

Sie sind hervorgegangen aus einer echten Bürgerinitiative. Sie stifteten Gemeinsinn. Mehr als das: Sie spendeten Schönheit.  Ja, Ihr größter Erfolg ist sichtbar, fühlbar, erfahrbar. Auf Ihre Initiative hin wurde ein Kernstück der historischen Frankfurter Altstadt wieder hervorgezaubert aus den Ruinen, die Krieg und folgender schlampigster, avantgardistischer Wiederaufbau hinterlassen hatten. Ja, den übelsten Wiederaufbau, den sich eine geschichtsvergessene deutsche Gesellschaft nur einfallen lassen konnten, in einer atemberaubend-hässlichen Verdrängungsarbeit, die zur Staatsdoktrin geworden war und die auf das Paradoxon: „Nie wieder“ hinauslief, das im deutschen Seelenhaushalt immer noch Verwirrung stiftet.

Warum Paradox? Weil die Staatsdoktrin den „Nie wieder“ doch das ständige Eingedenken der deutschen Schuld verlangt, also das schreckliche Gestern stets aufs Neue beschworen wird in einer ständigen Wiederkehr.

So waren wir, im Westen genauso wie im Osten, eingespannt in die DDR-Parole „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Wie sehr unsere Gesellschaft von dieser Parole verhext ist, ja, wie sehr daraus ein demokratiegefährdender „Verblendungszusammenhang“ wurde, um gleich mal einen Terminus des Frankfurter Neomarxisten und Kulturtheoretikers Theodor W. Adorno zu entlehnen, zeigt sich an den marschierenden gleichgeschalteten Kolonnen von regierungsgeförderten Demonstrationen gegen rechts, die niemandem als Peinlichkeit aufstoßen.

Wir leben in einer zerfallenden Ordnung und Gesellschaft – seit den Morden von Solingen und der Ratlosigkeit der politischen Nomenklatura in Berlin wird das auch dem Letzten klar. Und all das Gerede von Brandmauern und Leuten die „zündeln an der Demokratie“ offenbart diese Ratlosigkeit um so mehr, denn die da angeblich zündeln sind doch gerade diejenigen, die den Terrorismus in unserer Mitte beseitigen wollen.

Wir sind ganz offenkundig kein Volk mehr. Eine deutsche Gesellschaft, konstatierte der Sozialforscher Andreas Herteux soeben im Focus, existiert nicht mehr. Es existieren Parteien und Fraktionen und Milieus, mehr nicht. Auch die Inschrift am Reichstag in Berlin ist mittlerweile irreführend.

„Dem Deutschen Volk“? Eine leere Worthülse aus der verachteten deutschen Vergangenheit, nämlich aus der Zeit des ebenso zu Unrecht verschmähten Kaiserreichs, das eine Blüte der Deutschen Kultur und Wissenschaft von Weltgeltung erlebte. Es war nach den Plänen des Frankfurter Architekten Paul Wallot zwischen 1884 und 1894 erbaut worden.

Heute sollte dieses Gebäude eher die Inschrift tragen „Denen, die schon länger hier leben“, denn offenbar sind wir im Verständnis einer gewissen Kanzlerin und ihrer Gefolgsmedien nur noch ein Stamm von Nomaden, die für ein Paar Jahre -oder Jahrhunderte- hier ihre Zelte aufgeschlagen hat, und nun weiterzieht, um Platz zu machen für nachrückende Stämme, die bereits erste Zelte aufgeschlagen haben.

Ist das jetzt eine rechte Feststellung? Nein, sie ist eine Tatsachenbehauptung für jeden, der etwas von Demoskopie versteht und rechnen kann. Joachim Fest, der legendäre Kulturchef der FAZ sagte einmal „Die Wirklichkeit ist rechts“

Auf diesen genannten Kundgebungen gegen rechts schleicht sich die Vergangenheit auf gespenstische Weise wieder zurück. Denn es wird haargenau so mobilisiert wie in den doch überwunden geglaubten Diktaturen in West und Ost, kurz: in Deutschland. Da wird das Verbot von Oppositionellen gefordert bis hin zu Mordaufrufen.

Ja, so marschiert er wieder, der gesunde Volkskörper, der diesmal grünrot angepinselt ist. Oft in Form von ahnungslosen Teenagern, denen völlig abgeht, dass sie damit jene Herrschaftsform imitieren, gegen die sie doch zu demonstrieren behaupten.

Dazu kommt eine Presse, früher mal als vierte kritische Gewalt gedacht, deren Vertreter sich freiwillig gleichschalten oder gleichschalten lassen – jeder Journalist mit einem Funken Ehrgefühl im Leibe kann da nur Reißaus nehmen, wie ich es dann irgendwann notgedrungen tat, nachlesen lässt sich das in meinem Buch „White Rabbi“, das leider vergriffen ist, das aber in zwei Wochen wieder als Taschenbuch auf den Markt kommt unter dem komplizierteren Titel „Das Weiße Kaninchen -Pater Browns schwerster Fall. Mit Chesterton durch das irre Jahr 2015“

Was hat das jetzt alles mit Chesterton zu tun?

 

 

Nun, Gilbert Keith Chesterton, der große Journalist, nach Ernst Bloch einer der klügsten Menschen, die je gelebt haben, er war in jenem Jahr der hysterisch bejubelten Flüchtlingsschwemme 2015 für mich Reiseführer und Halt, in jenem Jahr, als ich meine letzte Runde in einem angestellten Redakteurs-Verhältnis drehte nach 26 Jahren im Spiegel, damals eben bei der Welt.

Lassen Sie mich kurz Gilbert K. Chesterton vorstellen, den die meisten nur als Schöpfer des Detektivs Pater Brown kennen, der zeitgleich und in Konkurrenz mit Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes und Agatha Christies Hecule Poirot Kriminalfälle löste. Pater Brown, der bei uns so publikumswirksam von Heinz Rühmann verkörpert wurde. Chesterton war weit mehr.  Er war der Starjournalist seiner Zeit und sicher der unabhängigste Kopf. Er war ein brillanter Antimodernist. Er schrieb gegen den Strom. Er ist Autor von unzähligen Büchern und rund 6000 Artikeln und Essays, wurde der „Apostel des gesunden Menschenverstandes“ genannt und nichts schien mir in jenem Jahr 2015 und den Jahren seither mehr zu fehlen als gesunder Menschenverstand.

 

Gerade zur Zeit der Refugees Welcome Hysterie hätte man ihn lesen müssen.

In seinen Tagen, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, stritt er sich mit dem Verleger Blatchford, über christliche Tugenden, vor allem die der Barmherzigkeit – wie es ja dann auch bei uns der Fall war, besonders in den Kirchen, wo es immer wieder um das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ging.

Dem Verleger Blatchford antwortete Chesterton damals, dass nicht nur die Laster, sondern auch die christlichen Tugenden Amok laufen können und noch verheerenderen Schaden anrichten.

Er sagte: „Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit mag grausam sein; aber Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit führt zur absoluten Auflösung.“

(Nicken im Publikum)

Und dann rief er seinem einstigen Verleger gut gelaunt hinterher: „Mr Blatchford ist nicht nur ein Vertreter des Frühchristentums, er ist der einzige frühchristliche Mensch, der es wirklich verdient hätte, von den Löwen gefressen zu werden.“

(Gelächter, Applaus)

Chesterton, ein Kraftwerk, ein Prophet, der vieles vorausahnte, ein journalistisches Genie, das nie die gute Laune verlor und sprühte vor Einfällen. Ein Arbeitstier. Oft diktierte er seiner Sekretärin einen Artikel und schrieb an einem anderen zu einem völlig anderen Thema, sei es eine Philippika gegen die Eugenik und Rassenlehre, die damals in den 1920er Jahren schwer in Mode waren, oder zur Schönheit gotischer Dome und das von ihm bewunderte Mittelalter.

 

Alles aus seiner Feder war scharf, aber gebrochen durch federnden Witz.

Kurze Abschweifung aus seinem Alltag als Journalist: Er liebte Kinder, und seine große Betrübnis war die, dass seine Frau Frances keine bekommen konnte. Weshalb beide es mochten, wenn die Nachbarskinder der Nichols bei ihnen herumtobten. In einer wunderbaren Glosse beschrieb er, wie der Redaktions-Bote auf einen Text wartete, an dem er arbeitete, allerdings musste er erst versuchen zu klären, ob Lily im Recht war, als sie Bob ins Malbuch kritzelte, oder ob sich Bob nur für die Untat Lilys revanchierte, die unerlaubt von seinem Apfel abgebissen hatte, und ob ihre Tat gerechtfertigt war, da sie in diesem Moment Hunger hatte…schließlich das Happy End: der Redaktionsbote zischt ab mit dem fertigen Text.

Unter den über 200 Büchern aus seiner Feder ist eines, das in unserem Zusammenhang besonders ergiebig ist. Es heißt „Whats wrong with the World“? Also etwa: „Was läuft schief mit der Welt”. Darin der Aufsatz mit dem Titel: „The Fear oft the Past“ – Die Furcht vor der Vergangenheit.

Ja, schon Chesterton hatte es mit dem gleichen Gegner zu tun wie Sie, verehrte Bürger für Frankfurt, in ihrem Kampf für eine Rekonstruktion der verschollenen Altstadt. Ihr gemeinsamer Gegner waren all die großartigen Theoretiker der Moderne, die über das Hergebrachte die Nase rümpfen, erfüllt von einer gnadenlosen und gedankenlosen Arroganz der Moderne gegenüber der Vergangenheit.

 

Schon zu seiner Zeit schrieb Chesterton, der ein Meister der Paradoxa war, über die merkwürdige Liebesgeschichte, in die wir offenbar mit der Zukunft verwickelt sind und die wir derzeit erleben und erleiden unter einem Regierungskartell, das sich „Koalition für die Zukunft“ nennt.

Chesterton bemerkte, was niemandem aufzufallen schien: „Der moderne Mensch bewahrt nicht länger die Erinnerungen seines Urgroßvaters; stattdessen ist er damit beschäftigt, eine sehr detaillierte und autoritative Biografie seines Urenkels zu schreiben“.

Chesterton spürte diesen Wahn schon zu seiner Zeit 1910, in der die Moderne gerade übernahm, in der Literatur, in der Malerei, in der Architektur:

„Der moderne Verstand wird in die Zukunft getrieben durch eine spezifische Ermattung, in die sich durchaus eine Art Schrecken mischt, mit dem er die zurückliegenden Zeiten mustert…es ist die Furcht vor der Vergangenheit.

Nicht nur die Furcht vor dem Bösen in der Vergangenheit, sondern auch vor dem Guten.

Das Hirn bricht zusammen unter der unerträglichen TUGEND der Menschheit. Es gab so viele flammende Glaubensüberzeugungen, die wir kaum fassen können; einen so schneidigen Heroismus, den wir gar nicht mehr nachahmen können; so großartige Anstrengungen, die zum Bau von Monumenten geführt haben oder zu militärischen Siegen, die uns heute gleichzeitig nobel und rührend vorkommen.

Und dann schlägt er uns einen Perspektivwechsel vor : „Die Zukunft, sie bedeutet nichts anderes als eine Zuflucht vor dem harten Wettbewerb unserer Vorfahren. Es ist die ÄLTERE Generation, die an unsere Tür anklopft, nicht die jüngere….Die Zukunft ist eine leere Wand, auf die jeder seinen Namen schreiben kann, so groß wie er will; die Vergangenheit dagegen sehe ich voll geschrieben mit nahezu unentzifferbarem Gekritzel, in dem sich Namen finden wie Plato, Jesaja, Shakespeare, Michelangelo, Napoleon. Ich kann die Zukunft so enggeführt und begrenzt aussehen lassen wie meine Pläne; die Vergangenheit dagegen steht stets so weiträumig da wie die Menschheit selber.“

Wir erleben besonders in den halbgaren Plänen unseres Wirtschaftsministers zur Rettung des Weltklimas, wie großspurig er seinen Namen auf diese leere Wand der Zukunft malt. Und wie enggeführt seine Pläne tatsächlich sind, denkt man an die Wärmepumpen-Verordnung oder die Zeitspanne, die man unter der Dusche verbringen sollte.

Dann wird er brennend aktuell und ich bin bei meiner Lektüre seiner Bücher immer wieder überrascht, wie sehr er in unsere Gegenwart spricht. Schon zu seiner Zeit ging es um Europa. Schon damals gab es Propheten eines geeinten Europas.

Zitat: „Sie werden – in einem Lob auf kommende Zeiten – behaupten, wir seien auf dem Weg die vereinigten Staaten von Europa. Aber sie hüten sich streng, davon zu reden, dass wir uns wegbewegen von den vereinigten Staaten von Europa. Dass wir ein vereintes Europa tatsächlich einst hatten, nämlich zur Zeit der Römer, oder im Mittelalter. Ja, dass der Hass in Europa tatsächlich ein Zusammenbruch des einstigen Ideals des Heiligen römischen Imperiums ist.“

Wir glauben, so argumentiert er, dass wir als Menschheit und als Menschen ständige Fortschritte machen. Chesterton bezweifelt, dass wir all die großen geschichtlichen Ideale und Wunschvorstellungen erfüllt und überholt haben. Dass wir tatsächlich den Heroismus unserer nackten Vorfahren, die ein Mammut mit einem Faustkeil erlegt haben, überholt haben an Tapferkeit. Oder den asketischen Heiligen an Heiligkeit. Er schreibt: „Wir haben den Krieger höchstens darin überholt, dass wir vor ihm weggelaufen sind. Und den Heiligen? Ich fürchte, wir sind an ihm vorbeigelaufen, ohne uns zu verneigen“.

Das stimmt ganz besonders heutzutage, würde ich sagen. Ich schätze, wir würden heutzutage ganz sicher auch Jesus verpassen, wenn er wieder auf Erden wandelte. Wir würden gar nicht mitkriegen, dass er übers Wasser geht, weil wir alle in die Handys starren.

Na gut, vielleicht wär‘s bei der wundersamen Brotvermehrung anders, da gab‘s Sachen umsonst.

In einem anderen Buch, der „Orthodoxie“, hat sich Chesterton über den Fortbestand der Demokratie Gedanken gemacht, die ohne Traditionen auskommen will. Und das halte ich für einen ganz wesentlichen Kerngedanken, eine fundamentale Korrektur unserer fehlgeleiteten Welt-Anschauung. Er schrieb: „Tradition ist die Demokratie der Toten. Tradition bedeutet, die Stimme der Toten hören zu lassen.

Die Tradition wehrt sich dagegen, dass das Lernen auf einen kleinen Raum der Zeit beschränkt wird. Tradition ist die Erweiterung des Wahlrechts. Tradition bedeutet, alle Männer wählen zu lassen; nicht nur die Lebenden. Es ist die Demokratie der Toten. Tradition weigert sich, die kleine und arrogante Oligarchie derer, die zufällig herumlaufen, zuzulassen. Tradition wehrt sich dagegen, dass das Lernen auf einen kleinen Raum der Zeit beschränkt wird. Demokraten fordern, dass ihre Stimmen gezählt werden, selbst wenn sie unter dem Druck ihres Gutsherrn stehen; Tradition fordert, dass ihre Stimmen gezählt werden, selbst wenn sie durch den langen Druck von Jahrhunderten erloschen sind. Demokraten hegen eine große Besorgnis um die Meinungen der Menschen in ihrer Umgebung; Tradition hegt eine große Besorgnis um die Meinungen der Menschen, die nicht hier sind.”

 

Eine weitere kleine Abschweifung in eigener Sache sei mir gestattet: In meinem letzten Roman, „Armageddon“, der hier heute abend käuflich zu erwerben ist, geht es um einen Journalisten, der von einem Antifa-Mörder ins Visier genommen wird. Er wohnt irgendwo der Küste in einem kleinen Kaff, und sein Weg zum Supermarkt führt ihn täglich durch einen Park und einen Friedhof, und jedes Mal fällt ihm dieses Chesterton-Zitat dabei ein. „Tradition weigert sich, die kleine und arrogante Oligarchie derer, die zufällig herumlaufen, zuzulassen.“ Und gegen diese Oligarchie kämpft er täglich, publizistisch.

Dass dieser Journalist eine Biografie hat, die der des Autors verdammt ähnlich ist, ist ein Zufall, der sich nicht vermeiden ließ. Dieser Journalist, im Buch heißt er Nico Hausmann, hat nach seinem 65.Geburtstag, den er mit früheren Kollegen aber auch verfemten Rechten, gefeiert hat, Morddrohungen erhalten und er hat sich schließlich angewidert vom Betrieb aus einer großen Medienstadt in dieses Kaff gerettet.

Tja, und von dorther sendet er wöchentlich – nicht wie es im Osterspaziergang des „Faust“ heißt, „fliehend, nur Ohnmächtige Schauer körnigen Eises/ In Streifen über die grünende Flur…“ nein, das nicht, sondern er sendet eine wöchentliche Gardinenpredigt in einem Internetsender namens Kontrafunk in eine ständig wachsende Gemeinde hinein.

Mir ist in meiner Beschäftigung mit Chesterton schmerzlich der Unterschied der Presselandschaft seiner Tage zu der unsrigen ins Auge gefallen. Damals gab es ein grandioses und vielstimmiges Konzert von Meinungen, heute werden Meinungen zensiert, eine freie Presse hat sich eher an den Rändern gebildet, freie Medien auf Plattformen im Internet, aber auch die werden zunehmend bedroht, soeben ist der Chef der Plattform Telegram in Frankreich Pawal Durow inhaftiert worden, jetzt vorläufig auf freiem Fuß, aber:  Die Schlinge zieht sich zu.

Zu Chestertons Zeiten wurden Debatten scharf geführt und sie waren öffentliche Spektakel. Einer der erbittertsten Gegner Chestertons war George Bernhard Shaw. Zu einer seiner Debatten mit ihm kamen in Oxford 5000 Zuschauer. Die beiden kreuzten die Klinge ein Leben lang – aber sie waren befreundet und alberten gemeinsam herum, zum Beispiel in einem Cowboyfilm, sie ermunterten sich gegenseitig, Shaw gab Chesterton Tips für seine Theaterstücke. Sowas wäre heute nicht mehr möglich.

Gegensätzlicher konnten sie gar nicht sein. Chesterton war katholisch, sein Hauptwerk war die berühmte „Orthodoxie“ und er wurde von Papst Leo XIII mit dem Ehrentitel „defensor fidei“ benannt. Er sah in der Kirche den einzigen Schutz vor, wie er schrieb, „dem entwürdigenden Zustand ein Kind seiner Zeit zu sein“.

Shaw dagegen war Sozialist und Atheist, und glaubte an seinen Heilsplan, nämlich an die Morgenröte des Kommunismus mit jeder Faser seines asketischen Körpers. Er war zudem Veganer und verschmähte Alkohol, während der fröhliche Zecher Chesterton über jedem Glas Whiskey, das er zu sich nahm, ein Kreuz schlug.

Chesterton war ein Riese mit knapp zwei Metern und brachte 150 Kilo auf die Waage, Shaw war spindeldürr.

Als die beiden sich mal trafen, meinte Chesterton besorgt: „Aber George, du siehst aus, als seist du einer Hungersnot entronnen“. Worauf Shaw erwiderte. „Und du, als ob du sie verursacht hättest“. Trotz ihrer Gegnerschaft in so ziemlich allen grundsätzlichen Fragen schrieb Chesterton die wohl beeindruckendste Biografie über George Bernhard Shaw, und als Chesterton relativ früh mit 62 Jahren verschied, schrieb Shaw traurig: „Die Welt war nicht dankbar genug für ihn.“

 

Tja, es gab diesen Respekt voreinander und die Lust am besseren Argument, die unserem Gewerbe heute abgeht. Wir sind zu ängstlich geworden, gleichzeitig natürlich hat die Politik die Schrauben mächtig angezogen, indem sie Maulkorb-Erlasse verabschiedet hat, die an Diktaturen erinnern, und denen ausgerechnet von Journalisten applaudiert werden- zu den schändlichsten Wortmeldungen jüngerer Zeit gehört wohl diejenige des Chefs des Deutschen Journalisten Vereins, der den verfassungswidrigen Verbotsversuch des Compact-Magazins begrüßt hatte.

Ebenso wie der Grünschnabel im Spiegel, der meinte, das Verbot hätte noch viel früher ausgesprochen werden müssen. Man hat diesem Dreikäsehoch wohl vergessen zu sagen, dass Rudolf Augstein, der Spiegel-Gründer, für die Meinungsfreiheit seines Magazins 100 Tage im Knast saß, aber das war der frühe Spiegel, der noch stolz war, wenn es ihm gelungen war, einen Ministerrücktritt herbeizuführen oder gar einen Regierungswechsel herbeizuschreiben.

Das war der Spiegel, der mich angeheuert hatte in den späten 1980er Jahren und dem ich nach einem Vierteljahrhundert den Rücken zugedreht hatte, weil er zunehmend politisch korrekt und meinungskonform wurde.

Es war ein Spiegel, der die Debatte mochte und in dem ich aus genau diesem Grunde als Kulturchef einen stramm konservativen Kurs fahren konnte, denn auch der Chefredakteur Stefan Aust, der mich gegen Widerstände als Kulturchef installiert hatte, mochte die Debatte. Selbst die taz, eigentlich doch der ideologische Gegner, schrieb anerkennend, wie bereits von Mathias Pfeiffer zitiert: „Rock n Roll im Laden!“ Und das mit einer konservativen Kampfansage!

Es war der Spiegel, in dem ich noch in den 90ern ein flammendes Plädoyer für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses schreiben konnte, welches, wie mir der ingeniöse Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien später bescheinigte, zur Verwirklichung seines Traums beitragen konnte, der mit einer riesigen Plane begann, also einer Theaterkulisse, auf die sein damaliges Luft-Schloss gepinselt war, die aber allen eine Ahnung von der Schönheit vermitteln konnte, die sich ins Herz senkte.

Damals kam ihm und uns der Zufall einer überfälligen Asbest-Sanierung zugute, die schließlich zum Abriss führte, auch bei Ihnen hier in Frankfurt gab es ja wohl Abrisspläne, und in Berlin wie hier wurden Neubaupläne vorgelegt, die den üblichen modernen Brutalismus aus Beton und Stahl und Glas boten… ich habe mir mein Stück jetzt noch einmal vorgenommen und vieles von dem, was mir damals durch den Kopf ging, wird ihnen bekannt vorkommen, weil es sie ebenfalls bewegte.

Sie müssen sich die 90er-Jahre vorstellen, der Palast der Republik, dieser monströse DDR-Kasten, war stillgelegt und sollte asbestsaniert werden und schräg gegenüber, im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR, in das das Portal IV des 1950 gesprengten Stadtschlosses eingefügt war, der sogenannte Liebknecht-Balkon, wurden in einer Ausstellung die Bauvorhaben der neuen Hauptstadt zur Begutachtung ausgestellt.

Und Wilhelm von Boddien schaffte es damals, im Stockwerk drüber sein Modell des Berliner Schlosses aufzubauen und den damals Regierenden Erhard Diepgen vor sein Modell zu ziehen

Verzeihen Sie mir das Vernügen, noch einmal selig in jene Tage einzutauchen, auch Chesterton übrigens liebte es, sich von seiner Sekretärin ältere Artikel aus seiner Feder bringen zu lassen, die er dann durchlas und lachte, um sich in Stimmung zu bringen für das, was er vorhatte:

Also:

„Das Schloss steht in einem gläsernen Schneewittchen-Sarg im Staatsratsgebäude, völlig unbemerkt im ersten Stock. Das Herz des alten Berlins ist ein buntes Märchenmodell, das man schütteln möchte, um es von weißen Flocken umstöbern zu lassen. Und träumen.

Im Moment interessiert sich keiner dafür, denn unten wird die neue Hauptstadt präsentiert. Unten, im Parterre, steht der Regierende Bürgermeister Berlins vor einem riesigen Reliefbrett mit all den weißen Würfeln, mit denen die Architektenstars die Hauptstadt derzeit ins neue Jahrtausend klotzen.

Ein irgendwie unfrohes Gemenge hier unten. Man klopft sich auf die Schultern und tritt sich vors Schienbein, beides gleichzeitig, denn eine Rechnung hat hier jeder offen. Im Grunde lässt sich jeder Berliner Festakt übersetzen mit: Zack, siehste, selber Idiot.

Die Journalisten beißen in Brötchen, und der Regierende verbeißt sich in den Journalisten, die sich dafür wieder in ihren Kolumnen rächen werden, und durch die Tür fällt der Blick auf eine riesige Parkplatz-Ödnis, eine gähnende, brutale Asphalt-Leere im Herzen der Stadt. Ob die seltsame Gereiztheit damit zu tun hat? Jeder Ort hat seine eigene Seelentemperatur.

Merkwürdig, dassS keiner hier unten auf das fehlende Schloss zu sprechen kommt. Dass keiner das fehlende Gravitationszentrum der Stadt jenseits der Tür beklagt, keiner an dem Mangel würgt, den die gähnende Brache verkörpert, ein Aufmarschgebiet, das nur für Kolonnen schreiender Menschenmassen taugt und den totalitären Terror des Gewöhnlichen.

Unter den Gästen ist nur einer, der vibriert. Der ungeduldig von einem Bein aufs andere tritt. Und als der Spuk sich endlich auflöst, schießt er auf den Regierenden zu: Kaufmann Wilhelm von Boddien. Er zuppelt, lächelt, strahlt, schwatzt und komplimentiert den Regierenden mit sich fort, wie ein Drücker mit einem garantiert unseriösen Angebot.

Die beiden eilen die Treppe hinauf durchs leere Foyer und stehen schließlich vor dem Modell. Diepgen büroblass und verschlossen, Boddien urlaubsbraun und plappernd. »Schauen Sie mal hier«, und »so sah es mal aus«, und »von hier aus kriegen Sie die Schneise am besten mit«. Und dann knien die beiden vor der Ostecke des Modells, zwei Männer, die Eisenbahn spielen, und sie schauen ehrfürchtig den Boulevard »Unter den Linden« hinab, an der Schlossfassade vorbei und am Zeughaus bis hin zum Brandenburger Tor.“

Ja, liebe Bürger für Frankfurt, damals in den 1990er Jahren schien es noch Hoffnung zu geben, die Merkeldämmerung war noch weit weg, und die grünrote Bande, die darauffolgen sollte, ebenfalls, es waren zukunftsfrohe Tage nach der endlich vollzogenen Einheit Deutschlands, endlich war diese Sehnsucht der Vergangenheit gestillt, und einer der Schwung bezog aus der Vergangenheit war dieser seltsame Wilhelm von Boddin.

 

Der Palast der Republik war 1973 als Grabstein auf Teile der alten Schlossfundamente gelegt worden und soll, bei erträglichen Tortenpreisen, einige ausgelassene FDJ-Feten erlebt haben – eine SED-Honoratioren-Baracke mit verstellbaren Wänden und uniformen Volkskammer-Abstimmungen, ein grausamer Witz selbst für viele DDR-Bürger, besonders die aus der Provinz.

Doch bis zu Boddiens listiger Eulenspiegelei galt dieser Bau, erstaunlicherweise, als unantastbar. Eine große Koalition aus SED-Nostalgikern, Dogmatikern kunstfeindlicher »Ehrlichkeit« und SPD-Sympathisanten erklärte das rostbraune Kleinbürger-Kacka zum großen Geschäft, und wahrscheinlich wäre es dem in architektonischen Nachkriegshässlichkeiten verrohten und abgestumpften Berliner nie aufgefallen, dass da was anders sein könnte, hätte es nicht diesen sonderbaren Wilhelm von Boddien gegeben.

Sein Fetzen Tuch war wie eine Luftspiegelung, die jedem Spaziergänger am Lustgarten eine merkwürdige Sehnsucht ins Herz senkte: Aha, so also könnte es aussehen. Schön.“

Nichts ist überzeugender als Schönheit, meine Damen und Herren, wir begreifen, das wusste schon Aristoteles, den Thomas von Aquin wiederentdeckte, durch unsere fünf Sinne, und Sie haben das hier in Frankfurt bewundernswert vorgeführt.

Über Thomas übrigens hat Chesterton, der grosse Liebhaber des frommen 13.Jahrhunderts, die nach Ansicht von Thomas-Forschern beste Biografie geschrieben, eine überaus lesbare, über ihn und den Hl Franziskus, die ein Bestseller war, das nur für Interessierte als Lesetipp.

Chesterton war hingerissen vom Mittelalter, das er für die wahre Renaissance und den Scheitelpunkt der Geschichte hielt

Nun aber wieder zurück zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses und den Lehren der Geschichte, und sie werden sich mit den gleichen Einwänden herumgeschlagen haben, wie damals Wilhelm von Boddin, der sich dabei zusätzlich schwer durch Traumata der deutschen Geschichte zu schleppen hatte.

 

Der Einspruch der Nein-Sager war mächtig: Ein Wiederaufbau des Schlosses, so hieß es in den Feuilletons, würde auf verlogene Weise die deutsche Wunde schließen. Das dürfe nicht sein. Berlin müsse »Trauerarbeit« leisten, müsse »Eilande des Eingedenkens« schaffen – als könne sich deutsche Schuld im Starren auf ästhetische Monstrositäten abtragen lassen, als könne der Holocaust architektonisch abgebüsst werden, als sei ein Parkplatz der steingewordene Ablasszettel.

Raus aus dem deutschen Schuldsumpf in die flotte, autogerechte Moderne – so waren nach dem Krieg die deutschen Innenstädte kaputtsaniert worden, auch bei Ihnen? (Kopfschütteln inm der ersten Reihe) Auf der Liste abgehakter Kulturgüter standen zeitweise: Teile des Frankfurter Römerbergs, das Stuttgarter Neue Schloss, der Knobelsdorff-Flügel in Charlottenburg. Doch in diesen Fällen schaffte man es nicht, sich gegen eine störrisch-nostalgische Bevölkerung durchzusetzen, die den Anmutszauber der Geschichte der neuen Silo-Ödnis nicht opfern wollte. Der Mensch lebt nicht von der Neubauwohnung allein.

Doch die modernen Stadtplaner setzten sich weitgehend durch, und selbst die Nähe zur totalitären Geste im Osten war ihnen nicht peinlich. Im Osten Berlins war Ulbricht mit Dynamit gegen das falsche Bewusstsein vorgegangen. Im Westen leisteten die Theoretiker der Moderne ganze Arbeit. Schnörkel galten als Junkerschrott. Tatsächlich gaben sozialdemokratische Kommunalpolitiker in Berlin »Stuckabschlags-Prämien« an Hausbesitzer aus – bourgeoise Gesinnung wurde mit Spritzbeton weggeputzt.

Das Ergebnis? Ein Blick auf den Ernst-Reuter-Platz, den Mehringplatz oder den Ku’damm genügt. Ein zweiter lohnt nicht. »Berlin ist«, wie der Publizist Rainer Haubrich in seinem provokanten Bildband eindrücklich belegt, unter den Metropolen »die hässlichste Hauptstadt Europas«.

Wilfried Wang, Chef des Frankfurter Architekturmuseums, bekräftigte: »Der ideologische Machtanspruch einer minimalistischen Monumentalität hat dazu geführt, daSS diese Architektur jegliche interne und externe Daseinsberechtigung verloren hat.« Wang bezog Architekturstars wie Ungers in seine Kritik mit ein, deren Kästen die neue Hauptstadt prägen.

Doch der politisch-moralische Einspruch gegen das Schloss hatte den schwächeren ästhetischen kräftig abzuschirmen. Die Betroffenheitsgeste – sie stattete jeden verantwortlichen Bezirkspolitiker mit einer moralischen Größe aus, die er sich zulegen möchte.

Der SPD-Politiker Strieder hielt die ästhetische Debatte übers Schloss für »Quatsch« – sie sei politisch. »Wir können doch in der Stadt nicht nur Preußens Gloria und Nazibauten restaurieren.« Man müsse eben auch die Erfolge der Arbeiterbewegung verewigen. Also doch: Wer für den Palast ist, respektiert den Sozialismus, und wer das Schloss will, ist abwechselnd rückschrittlich oder Nazi.“

Damals fand der linke Einspruch gegen das Schloss Sekundanten in den Feuilletons, die die letzten abgelederten Pirouetten der einst stolzen Kritischen Theorie drehten: Ausgerechnet Adorno, ein formbewußter Großbürger, muss nun als Kronzeuge für einen Parkplatz herhalten!

Da war etwa Ulrich Greiner in der »Zeit«, der gegen den »raumgreifenden Herrschaftswillen« des alten, neuen Schlosses wettert – immerhin, so flüsterte es durch seine Zeilen, es war mal Junkerburg, und das wollen wir doch bitte schön nicht mehr.

Er und andere sahen im Schloss-Wiederaufbau eine Mogelpackung, die die »historische Differenz« verschwinden ließe. Wahrscheinlich fand und findet man das in selbstanbetender Feuilletondrechslerei toll gedacht – unehrlich bleibt es dennoch: Als ob nur ein einziger dieser Sitzriesen beim gelegentlichen Berlin-Besuch den unfrohen Blick über die Brache schweifen ließ und hauchte: Gott sei Dank ist die historische Differenz erhalten!

Doch für ihn war dieser Parkplatz anstelle des Schlosses nicht einfach ein Parkplatz – sondern Endpunkt einer preziösen Reflexionskette, das Beste, was das Gremien-Palaver hervorzubringen imstande war.

Es war unehrlich und obendrein falsch. Wolf Jobst Siedler, ein vehementer Schlossbefürworter, wies mit Recht darauf hin, dass in der Architekturgeschichte Falsifikate überwiegen. Knobelsdorffs Oper: mehrfach ausgebrannt und wiedererrichtet. Das Kronprinzenpalais: eine Baugrube mit Grundwasser, in neuer Schönheit wiedererstanden. Nicht nur das Warschauer Schloss war bei Kriegsende komplett zerstört – auch der Campanile in Venedig war zu Beginn des Jahrhunderts eingestürzt und nur noch ein Haufen Schutt.

Nun hätten die Venezianer – aus Sorge um das »Verschwinden der historischen Differenz« – die Brache konservieren und später einen Avantgardisten einen Schuhkarton aus Glas und Stahl hinklotzen lassen können.

Aber sie sind nun mal konzeptionell weniger streng die Venezianer, sie sind unverbesserliche Sinnesmenschen. Und wenn sich so mancher deutscher Feuilletonist von seiner Gattin heute vor dem Campanile knipsen lässt, ist ihm die historische Differenz ziemlich piepe, Hauptsache, Mutti wackelt nicht wieder oder schneidet die Füße ab.

Eine der verlogensten Gedankenblüten trieb in der »Süddeutschen Zeitung«. Erstens, hieß es da, sei ein Schloss nostalgische Lüge. Und zweitens würde es – da es sich doch kommerziell tragen müsse – durch Geld entweiht werden. Da könne man, rief der Kritiker in heiliger Empörung, ja gleich eine Bankfiliale in der Dresdner Frauenkirche aufmachen!

So ist der Stand noch immer. Die meisten Feuilletonisten sind gegen urbane Heilung durch Restauration. Sie möchten dem Normalbürger das »Zeitgemäße« über den Schädel ziehen wie eine historische Kopfnuss. Sie beten Adolf Loos’ »Ornament und Verbrechen« nach, finden Le Corbusiers Wohnsilos fürs gemeine Volk interessant und flippen heimlich aus vor Freude, wenn ihre Altbauwohnungen Stuckreste aufweisen.

Tatsächlich hatte ich als Kulturchef mal den Avantgarde-Architekten Rem Kolhaas gesprochen, der von Architektur als „Wahrzeichen“ sprach und für die Sozialistische Partei Wahlkampf machte, aber daneben lukrativ für Prada und große Modemarken arbeitete und ein vehementer Befürworter war, den hässlichen Palast der Republik zu erhalten, denn auch Hässlichkeit habe ihr Recht.

Ich entgegnete, dass unsere Städte wohl besser aussehen würden, wenn die Architekten gezwungen sein würden, in den Gebäuden zu leben, die sie entwerfen und fragte ihn, wie er denn so wohne.

Er druckste eine Weile herum und sagte schließlich: in einem viktorianischen Stadthaus in London!

Bilanz: Sie, unsere großartigen Avantgardisten verachten die historisierende Tendenz (ohne die es Renaissance und Klassizismus nicht gegeben hätte) als rückschrittlich und verordnen der Großstadtherde den schmucklosen Korridor, so wie Ulbricht, der seinem Volk den Feudalismus unter dem Hintern wegsprengte, um sich anschließend am gleichen Ort auf eine bronzene Tribüne zu setzen und die Volksameisen vorbeidefilieren zu sehen.

Und ich schloss meine Ausführungen dann mit einem Gedanken, der in dem Spiegel von heute sicher nicht mehr stehen dürfte, aber auch der Spiegel muss sich messen lassen an seiner durchaus glorreichen Vergangenheit als herrschaftskritisches Medium.

Ich schrieb: „Was Schinkel beschwor, nämlich das »Vollkommene« zu riskieren, gerade in »ungünstigen Zeiten«, und das was die Amerikaner das »vision thing« nennen, meint im Grunde dasselbe: den elektrisierenden Appell an Stolz und Tradition. Kanzler Schröders Chance: in Terrains vorzudringen, die jenseits der Deutschland-GmbH liegen.

Dorthin, wo das Schloss steht. Im Moment nur ein Modell in einem Glassarg, bunt und klein und aus Pappe.“

Ja, sowas war möglich im Spiegel und zwar über viele Seiten hinweg, ich habe hier nur stark gerafft.

Eine weitere Abschweifung: Im einst großartigen Spiegel ist derzeit ein lustiger Machtkampf ausgebrochen, einer von vielen nach der langen Ära von Stefan Aust, ein Machtkampf der politisch Korrekten, dem sowohl er als auch ich damals als Kulturchef zum Opfer fiel. Aber was mich damals fast aufrieb, betrachte ich heute lächelnd mit dem erleichterten Aufseufzer: Gott sei dank bin ich da weg.

Übrigens, Fußnote der Geschichte: Im letzten Jahr haben sich die ohnehin spärlichen Gewinne des Spiegel halbiert, die Kioskauflage ist auf erbärmliche 90 000 Hefte gesunken, die Tugendterroristen liquidieren sich gegenseitig – wie schön, dass sich wenigstens diese Tradition erhalten hat!

Aber mittlerweile steht es tatsächlich, das Berliner Stadtschloss, so wie ihre prächtige Frankfurter Altstadt steht. Allerdings geben die geschlagenen, ja durch Schönheit erschlagenen Gegner nicht auf.

In Berlin gibt besagte Kulturministerin Claudia Roth, die einst unter dem Spruchband „Deutschland du mieses Stück Scheiße“ demonstriert hat, keine Ruhe. Sie intervenierte, als es um das Kreuz auf der Kuppel ging und sie intervenierte, als es um den Bibel-Spruch darunter ging. Er stammt aus der Apostelgeschichte und lautet „Es ist in keinem andern Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden“

Aber unsere Kunstexpertin, die sich dadurch qualifizierte, dass sie mal die Anarcho-Band „Ton, Steine, Scherben“ gemanaget hat, deren großer Hit in den 70er Jahren hieß “Macht kaputt, was euch kaputt macht“, sie wehrte sich gegen diesen Spruch, der sie offenbar kaputtmachte und verschreckte wie einen Vampir das einfallende Sonnenlicht, und hier entschuldige ich mich ausdrücklich bei den Vampiren. (Gelächter)

Nun hat sie sich einfallen lassen, dass sie den Bibelspruch durch eine Kunstinstallation überblenden und damit zum Verschwinden bringen könne, und damit die Mahnung, dass es noch einen gibt, der über ihr und ihrem grünroten Affenzirkus mit all den Menscheits- und Weltverbesserungsideen steht, einer, der tatsächlich für die Schöpfung und das Weltklima verantwortlich ist, zudem offenbar ein alter weißer Mann, wenn man dem Fresco Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle trauen möchte, (Gelächter),und warum sollte man es nicht tun, mich überzeugt diese geniale Malerei auf Anhieb…

Liebe Bürger für Frankfurt lassen Sie mich gegen Ende meiner Ausführungen noch einmal auf einen ganz wesentlichen Aspekt Ihres phänomenalen Erfolges zurückkommen, der auch ein zentraler Aspekt im Wirken von Gilbert K. Chesterton war – die Ortsgebundenheit, die Verwurzelung, der Lokalismus.

In Chestertons damaliger Ideenwelt hieß es „Distributionismus“. Er gedachte das Große Ganze, also die Welt auf der Insel, dadurch wieder ins Lot zu bringen, dass der Staat jedem seiner Bürger 3 acres and a cow zur Verfügung stellen sollte, also rund fünf Morgen Land und eine Kuh. Es sagte: Das Problem mit dem Kapitalismus ist, dass es zu wenig Kapitalisten gibt. Er protestierte damit gegen die ungerechte Anhäufung von Land in den Händen weniger Gutsbesitzer. Heute wäre das unser Protest gegen die großen Oligarchen und ihr Macht. Das war Chesterons Antwort auf Kapitalismus und Sozialismus, der dritte Weg: Kleinbauern und Kleingewerbe und Ortsgebundenheit.

Nun, das ist auf den ersten Blick eine romantische und rückwärtsgewandte Idee von merry old England, aber sie hat einen tieferen philosophischen und soziologischen Sinn. Denn ihr schwebt eine Art von Autarkie vor, die an den unmittelbaren Lebenskreis gebunden ist. Wir verbessern im Kleinen, um stückweise das Schlechte Große zu ändern, nämlich das, „Whats Wrong in the World“, das, was schief läuft in der Welt.

Sie haben das wundervoll bewerkstelligt in Frankfurt. Chesterton dazu: „Wir müssen die Welt stückweise und mühevoll im Kleinen ändern, wenn wir sie fundamental ändern wollen. Denn jene Leute, die denken, sie können das auf die Schnelle hinkriegen, tun es eben nur oberflächlich.“

Wir bewegen uns in eine ungewisse Zukunft. Da ist es doch durchaus befruchtend, uns von der Vergangenheit beraten zu lassen. Von einer Demokratie der Toten. Ja, wir scheinen uns von dem Modell der liberalen Demokratie zu verabschieden. Und wir wissen nicht was auf uns zukommt. Dämmerstunde. Wir haben es zu tun mit einem politischen System, das immer weniger geeignet ist, den Willen des Volkes in politische Gestaltung zu übertragen, mit einer politischen Nomenklatur, in der sich die alte liberale Demokratie auszuhauchen scheint mit ihren Garantien von Meinungsfreiheit und Schutz des Eigentums, wie sie so herrlich im Ursprung besungen wurden in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

Stattdessen sehen wir uns von einer diktatorischen Zensur bedroht und mit ständig neuen Steuern belastet, die für Zwecke erhoben werden, die unseren Interessen zuwiderlaufen.

Wir sehen eine Gesellschaft, die in unzählige Milieus und Fraktionen zersplittert ist, eine Gesellschaft, die sich längst nicht mehr als Volksgemeinschaft mit gemeinsamen Bräuchen und alltäglichen Selbstverständlichkeiten verstehen darf, gespalten in Ansässige und Neuankömmlinge.

Und die sind da und drängeln und machen uns den Wohnraum streitig und die offenen Plätze und Volksfeste und immer öfter tragen sie Messer mit sich. Und die Trojanischen Pferde sind unter uns, sie nennen sich Grüne und hassen unser Land und rufen wie jene Hamburger Bürgschaftsabgeordnete aus: „Ausländer, lasst uns mit den Deutschen nicht allein.“

Diese Gesellschaft zerfällt, und da ist es wichtig, und es wird in den Stürmen der Zukunft immer wichtiger sein, sich in lokalen Einheiten zusammenzufinden und Verankerungen zu bilden, und nichts ist dafür beispielhafter als Ihre Wählervereinigung, die mit der wiedererstandenen Frankfurter Altstadt ein triumphierendes Zeichen gesetzt hat.

Seine Betrachtung über die „Furcht vor der Vergangenheit“ schließt Chesterton mit einem Einwand gegen die beliebte Redewendung, dass man ja die Uhren nicht zurückstellen könne. Darauf Chesterton: Das ist Blödsinn. Man kann! Eine Uhr ist etwas Menschengemachtes, so wie die Gesellschaft etwas Menschengemachtes ist. Wie man sich bettet so liegt man? Auch das ist Blödsinn. Man kann jederzeit sein Bett neu machen. Und er ruft aus: „This is, as I say, the first freedom that I claim: The Freedom to restore“. Also die große Freiheit ist die, wiederherzustellen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen noch einen schönen Abend, Sie haben Grund zu feiern!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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